Runde 1: GEMA gegen OpenAI – Der rechtliche Rahmen für KI und Musik in Deutschland
I. Einordnung und aktueller Anlass
Zum Jahresende 2025 hat das Landgericht München I (Az. 42 O 14139/24) ein bemerkenswertes Urteil erlassen, das für alle Akteure der Kreativbranche ebenso wie für die Entwickler Künstlicher Intelligenz signalhaft ist. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob KI-Anbieter wie OpenAI urheberrechtlich geschützte Musikwerke, insbesondere Songtexte, ohne vorherige Lizenz für Trainingszwecke oder als Output ihres Systems verwenden dürfen. Das Urteil betrifft dabei die Liedtexte neun bekannter deutscher Urheberinnen und Urheber (darunter „Atemlos“ von Kristina Bach oder „Wie schön, dass du geboren bist“ von Rolf Zuckowski). Die Bedeutung der Entscheidung ist kaum zu unterschätzen – sie gibt erstmals klare Antworten auf viele in der Branche bislang offene Fragen und stößt damit eine notwendige Diskussion zum Verhältnis von Urheberrecht und KI-Technologie an.
II. Sachverhalt und Hintergrund
Geklagt hatte die GEMA als treuhänderische Verwertungsgesellschaft deutscher Musikautoren gegen OpenAI, dem US-Betreiber des Sprachmodells ChatGPT. Ausgangspunkt war, dass sich Nutzer Liedtexte bekannter deutscher Künstler in vollständiger oder fast vollständiger Form von ChatGPT ausgeben lassen konnten. Die GEMA sah hierin eine rechtswidrige Nutzung, da sie als Repräsentantin betroffener Urheber keine Erlaubnis zur Verwendung im Rahmen des KI-Trainings oder zur Ausgabe erteilt hatte. Im Rahmen des Prozesses stellte sich das Gericht die wesentliche Frage, wie weit das Training von KI-Modellen und die daraus resultierenden Wiedergaben mit den urheberrechtlichen Schutzrechten aus §§ 16, 17 UrhG sowie speziell den Schrankenregelungen (insb. § 44b UrhG) zu vereinbaren sind
III. Die Entscheidung des Landgerichts – im Überblick
1. Memorisation und Wiedergabe durch KI als Urheberrechtsverstoß
Nach Ansicht des Gerichts ist das Vorgehen von OpenAI nicht mehr durch die urheberrechtlichen Schranken gedeckt. Entscheidend war für die Kammer, dass die KI nach abgeschlossenem Training in der Lage ist, vollständige oder wesentliche Teile von Songtexten praktisch identisch zu reproduzieren. Diese Möglichkeit sei nicht mehr als reine Datenanalyse anzusehen, sondern erfülle das Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung bzw. öffentlichen Wiedergabe (Memorisation), die gemäß UrhG ausdrücklich lizenzpflichtig ist.
Das Gericht betonte dabei: Dass die KI beim Training Wissen „erlernt“ und später in konkreten outputs abrufbar macht, ist urheberrechtlich von einer reinen Datenverarbeitung oder bloßen Inspirationsquelle klar abzugrenzen. Der technische Fortschritt einer KI rechtfertigt keine Abkehr der Grundprinzipien des Urheberrechts
2. Reichweite des § 44b UrhG (Text- und Data-Mining-Schranke)
§ 44b UrhG erlaubt es, unter bestimmten Voraussetzungen automatisierte Analysen digitaler Werke zur Mustererkennung vorzunehmen, was als sog. Text- und Data Mining mittlerweile für moderne KI-Applikationen zentral ist. Dem Urteil zufolge greift diese Schranke jedoch nicht, wenn – wie hier – eine KI imstande ist, Werkbestandteile vollständig zu memorisieren und anschließend zur Verfügung zu stellen. Die Schranke schützt also das reine „Lernen“ von Strukturen und Zusammenhängen, nicht jedoch das reale Wiedergeben urheberrechtlich geschützter Inhalte.
Bemerkenswert ist der Befund des Landgerichts, dass die Einräumung entsprechender Rechte durch einen Lizenzvertrag (mit den Rechteinhabern oder Verwertungsgesellschaften) unumgänglich bleibt. Die in § 44b UrhG vorgesehene Möglichkeit eines Nutzungsvorbehalts – etwa durch Kennzeichnung oder maschinenlesbaren Hinweis – wurde erneut bestätigt und konkretisiert
IV. Fazit
Die Entscheidung des LG München I schafft erste Klarheit in einer bis dato rechtlich umstrittenen Materie. KI darf keine urheberrechtlich geschützten Werke ohne Lizenz verwerten – sei es im Trainingsprozess oder beim Output. Die Text- und Data-Mining-Schranke bietet keinen Freibrief, wenn Werke tatsächlich memorisiert und reproduziert werden. Rechteinhaber können sich auf einen starken Rechtsschutz verlassen, während Unternehmen verpflichtet sind, neue Compliance-Modelle und Lizenzierungsstandards zu implementieren.
Gleichwohl kehrt sicherlich aktuell keine Rechtssicherheit ein.
Es steht zu erwarten, dass ähnliche Verfahren in Europa und darüber hinaus folgen werden. Mit großer Sicherheit wird OpenAI die zugrundeliegenden Fragestellungen in weiteren Instanzen klären lassen wollen. Während dieser Zeit werden Softwareentwickler den Fortschritt von KI-Modellen weiter betreiben. Es ist fraglich, ob der jetzige Achtungserfolg der Kreativbranche letztlich nur als Pyrrhussieg anzusehen sein wird. KI-Entwickler werden das Urteil zum Anlass nehmen, dass „Lernen“ von KI weiter zu verfeinern. Die Entscheidung des Gerichts könnte in ein paar Jahren bereits nicht mehr up-to-date sein. Es ist wünschenswert, dass der (europäische) Gesetzgeber den aktuell bestehenden Rechtsrahmen dynamisch an die Entwicklungen anpasst. Bislang ist ein solches Vorhaben jedoch nicht absehbar. Es bleibt spannend, wie sich die weiteren Instanzen zu den offenen Rechtsfragen nach aktueller Rechtslage in den weiteren Runden des Rechtsstreits positionieren werden.
Autor: RA Christian Ritter
Für weitere Fragen zur praktischen Umsetzung oder zur gezielten Prüfung Ihrer Inhalte und Rechte stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.