Zulässigkeit einer "Vesting-Regelung“ bei Start-up-Unternehmen

Dr. Christoph Knapp

In einem aktuellen Beschluss bestätigt das Kammergericht Berlin, dass Vesting-Regelungen grundsätzlich eine rechtlich zulässige Form der Hinauskündigungsklausel aus einer GmbH darstellen können. Der Beschluss gibt wichtige Leitlinien für die Gestaltung von Gesellschaftervereinbarungen in Start-ups.

  1. Überblick

Das Kammergericht (KG) hat in einem Hinweisbeschluss vom 12. August 2024 (Az. 2 U 94/21) über die Zulässigkeit einer sog. Hinauskündigungsklausel entschieden, die in einem Shareholders' Agreement eines Start-ups in Form einer zeitlich begrenzten Vesting-Regelung vereinbart war. Diese Klausel ermöglichte es den Mitgesellschaftern, die Gesellschafterstellung eines Mitgründers an bestimmte Bedingungen zu knüpfen und bei Nichterfüllung der Bedingungen dessen Anteile gegen eine Abfindung einzuziehen.

Der Begriff des Vesting stammt ursprünglich aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis und bezeichnet ein Konzept, das Rechte oder Ansprüche an bestimmte Bedingungen knüpft, die erst mit der Zeit oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen vollständig entstehen oder „unverfallbar“ werden. Im gesellschaftsrechtlichen Kontext, insbesondere bei Start-ups, wird Vesting häufig verwendet, um die Übertragung von Unternehmensanteilen an Gründer, Mitarbeiter oder Investoren an deren langfristiges Engagement für das Unternehmen zu binden.

Das Gericht hielt die Vesting-Regelung im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände des Start-ups für sachlich gerechtfertigt und daher wirksam. Es stellte klar, dass Hinauskündigungsklauseln grundsätzlich an § 138 Abs. 1 BGB zu messen sind, wonach sie nichtig sind, wenn sie gegen die guten Sitten verstoßen.

Im vorliegenden Fall erkannte das Gericht jedoch eine besondere sachliche Rechtfertigung aufgrund der Interessen der Risikokapitalgeber und der Bedeutung der Gründer für das Unternehmen an.

  1. Zur Rechtsprechung des BGH

Das KG bezieht sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach Hinauskündigungsklauseln in gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen grundsätzlich sittenwidrig nach § 138 Abs. 1 BGB sind. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn die Regelung aufgrund besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist.

Das KG führt mehrere Entscheidungen des BGH auf, die Ausnahmen anerkennen:

  • „Tiefbaufall“ (BGH, Urteil vom 20.6.1983 – II ZR 237/82): Eine Klausel, die den Ausschluss eines Gesellschafters einer GmbH vorsieht, wenn dieser nicht mehr im Unternehmen tätig ist, wurde als gerechtfertigt angesehen, weil alle Gesellschafter persönlich mitarbeiten sollten.
  • „Lebensgefährtenfall“ (BGH, Urteil vom 9.7.1990 – II ZR 194/89): Hier wurde ein Ausschlussrecht gerechtfertigt, da die gesellschaftsrechtliche Beziehung auf einer engen persönlichen Bindung und einer einseitigen finanziellen Übernahme durch einen Gesellschafter beruhte.
  • „Probezeitfall“ (BGH, Urteil vom 8.3.2004 – II ZR 165/02): Eine befristete Klausel zur Prüfung der Eignung eines neuen Gesellschafters wurde als sachlich gerechtfertigt angesehen.
  • „Mitarbeitermodell“ (BGH, Urteil vom 19.9.2005 – II ZR 342/03): Minderheitsbeteiligungen, die an eine Tätigkeit im Unternehmen gekoppelt waren, konnten bei Ausscheiden aus dem Unternehmen zurückgefordert werden.
  • „Managermodell“ (BGH, Urteil vom 19.9.2005 – II ZR 173/04): Ähnlich wie im Mitarbeitermodell, jedoch spezifisch für Geschäftsführer.
  1. Vesting-Regelung im konkreten Fall

Das KG stellte fest, dass die im Shareholders' Agreement des Start-ups vereinbarte Vesting-Regelung sachlich gerechtfertigt war:

  • Praktisches Bedürfnis für Risikokapitalgeber: Start-ups sind häufig auf Investoren angewiesen, die wiederum sicherstellen möchten, dass die Gründer weiterhin engagiert bleiben. Die Regelung zielt darauf ab, die Gründer zu motivieren und deren Einsatz mit ihrer Gesellschafterstellung zu verknüpfen.
  • Beteiligung als Anreiz: Die Anteile der Gründer, die zunächst zum Nominalwert erworben wurden, erlangten durch den Kapitaleinfluss der Investoren eine erhebliche Wertsteigerung. Diese Wertsteigerung solle durch die Gründer „erdient“ werden.
  • Kein Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsatz: Da die Investoren lediglich finanzielle Beiträge leisteten, während die Gründer durch ihre aktive Tätigkeit zur Wertschöpfung beitrugen, war eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt.

Das KG wies darauf hin, dass die Regelung im Shareholders' Agreement eine präzise vertragliche Grundlage hatte. Insbesondere hob es hervor:

  • Die Regelung war zeitlich begrenzt und diente spezifischen Unternehmensbedürfnissen.
  • Die Anwendung der Klausel hielt einer Ausübungskontrolle nach § 242 BGB stand.
  • Es bestand kein Verstoß gegen Treu und Glauben, da die Regelung auf einer klaren vertraglichen Verpflichtung beruhte, die alle Gründer gleichermaßen akzeptiert hatten.
  1. Fazit

Der Beschluss des KG bestätigt, dass Vesting-Regelungen unter bestimmten Umständen eine rechtlich zulässige Form der Hinauskündigungsklausel darstellen können. Entscheidend ist, dass die Regelung sachlich gerechtfertigt ist und einem berechtigten Interesse dient, wie z. B. der Sicherstellung des Engagements der Gründer in einem Start-up.

Für die gesellschaftsrechtliche und vertragsgestaltende Beratung steht Ihnen unser Unternehmensrechts-Team (RA Dr. Theodor Seitz, RA Urs Lepperdinger, RA Jochen Lang, RA Julius Weißenberg und RA Dr. Christoph Knapp) gerne zur Verfügung.

Dr. Christoph Knapp

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