Vorstandshaftung, Verbotsirrtum und anwaltlicher Rechtsrat – Wer sich auf spezialisierte anwaltliche Beratung stützt, kann im Fall regulatorischer Unsicherheit haftungsfrei bleiben

Dr. Christoph Knapp

Unternehmerische Entscheidungen werden zunehmend durch ein Dickicht von Regularien begleitet. Besonders in Sektoren wie Finanzdienstleistungen, IT, Compliance oder ESG ist rechtliche Unsicherheit oft systemimmanent – Gesetze sind unklar, Verwaltungspraxis uneinheitlich, Rechtsfortbildung dynamisch.

Vorstände und Geschäftsführer sehen sich in diesen Konstellationen mit erheblichen zivil- und strafrechtlichen Risiken konfrontiert. Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. März 2025 (III ZR 261/23) bietet nun wichtige Klarheit: Frühzeitig eingeholter, qualifizierter anwaltlicher Rechtsrat kann im Falle eines Verbotsirrtums strafrechtlich entlasten – selbst dann, wenn sich die rechtliche Bewertung später als (objektiv) unzutreffend herausstellt.

I. Sachverhalt

Ein Unternehmer beauftragte einen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht mit der Konzeption eines neuen Vertragsmodells, das – aus Sicht des Mandanten – nicht der Erlaubnispflicht nach § 32 KWG unterfallen sollte. Der Anwalt erarbeitete einen komplexen Prüfungsbericht, analysierte eingehend die aufsichtsrechtliche Lage und investierte über 20 Stunden in die juristische Aufarbeitung und Modellierung der Struktur.

Die Staatsanwaltschaft leitete später ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Bankgeschäfte ein. Doch das Verfahren wurde eingestellt – u.a. gestützt auf die tragfähige anwaltliche Begutachtung.

Der BGH bestätigte nun in seinem Urteil vom 20. März 2025: Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 Satz 1 StGB) kann auch dann vorliegen, wenn die Gerichte im Nachhinein eine andere Rechtsauffassung vertreten – vorausgesetzt, die Beratung war hinreichend qualifiziert, konkret und vertretbar.

II. Rechtliche Würdigung durch den BGH

Der III. Zivilsenat des BGH konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmer sich entlasten kann. Maßgeblich sind folgende fünf Kriterien:

1.    Qualifikation des Rechtsberaters

Der beauftragte Anwalt war Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Der BGH verlangt einen objektiv fachlich qualifizierten Berater, dessen Expertise dem beratungsgegenständlichen Sachverhalt entspricht.

2.    Intensive, substanzielle Prüfung

Der Anwalt hatte sich über viele Stunden intensiv mit der Materie beschäftigt, Verträge entworfen und die Rechtslage ausführlich geprüft. Der BGH betont ausdrücklich den Umfang der investierten Zeit als Indikator für Seriosität.

3.    Zielgerichtete Aufgabenstellung

Die Beauftragung war präzise auf das Risiko eines Verstoßes gegen § 32 KWG gerichtet. Der Mandant hatte nicht allgemein um Rat gefragt, sondern konkret um Prüfung eines erlaubnisfreien Modells gebeten.

4.    Fehlen gegenteiliger Hinweise

Weder aus Behördenkommunikation noch aus anderweitigen Quellen ergaben sich für den Unternehmer Hinweise, die Zweifel an der Richtigkeit der Beratung hätten wecken müssen.

5.    Bestätigung durch behördliches Verhalten

Die Staatsanwaltschaft sah trotz Kenntnis der neuen Vertragsstruktur keinen Anlass, ihre Ermittlungen auszudehnen – ein weiterer Bestätigungsaspekt für das Vertrauen des Mandanten.

III. Haftungsvermeidung auch im Zivilrecht – Business Judgement Rule

Die Entscheidung hat nicht nur strafrechtliche Relevanz: Auch im Zivilrecht – insbesondere unter dem Aspekt der Organhaftung nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG oder § 43 Abs. 1 GmbHG – stärkt der BGH die Bedeutung anwaltlicher Beratung. Wer qualifizierten Rechtsrat einholt und dokumentiert, handelt „auf Grundlage angemessener Information“ – und kann sich auf die Business Judgement Rule berufen.

IV. Dogmatischer Hintergrund: Richtig oder vertretbar?

Wichtig ist das vom BGH bekräftigte Verständnis, dass juristische Beratung nicht daran gemessen werden darf, ob sie später von Behörden oder Gerichten als „richtig“ angesehen wird. Vielmehr zählt allein die Vertretbarkeit:

„Rechtsberatung ist nicht per se unrichtig, nur weil sich eine andere Rechtsmeinung durchsetzt. Entscheidend ist die Plausibilität der Begründung und die Eignung des Beraters.“ (BGH, a.a.O., Rn. 42)

V. Handlungsempfehlungen für Unternehmensleiter

1.    Spezialisierten Rechtsrat frühzeitig einholen

Bei rechtlich unsicherem Terrain – insbesondere in regulierten Märkten – ist die frühzeitige Einbindung eines fachlich versierten Beraters zwingend.

2.    Klarer Prüfungsauftrag und Dokumentation

Auftrag, Analyse, Ergebnis – alles muss nachvollziehbar dokumentiert werden. Dies dient nicht nur der Verteidigung, sondern ist Ausdruck moderner Compliance.

3.    Beraterauswahl mit Augenmaß

Kein „billigstes Angebot“, sondern nachweislich qualifizierte Experten mit dem passenden Schwerpunkt – dies gilt für Zivil- wie Strafrecht gleichermaßen.

4.    Keine „Zweitmeinung“ ignorieren

Wenn es Warnsignale oder abweichende Meinungen gibt – etwa von Behörden oder Verbänden – müssen diese in die Risikoabwägung einbezogen werden.

VI. Fazit: Rechtsrat schützt – wenn er ernst genommen wird

Die Entscheidung des BGH vom 20. März 2025 ist ein starkes Signal an Geschäftsleiter: Wer seriös, sorgfältig und konkret Rechtsrat einholt und auf dessen Grundlage handelt, kann sich nicht nur gegen Haftung wappnen, sondern seine Entscheidung auch strafrechtlich absichern.


Für die gesellschaftsrechtliche und vertragsgestaltende Beratung steht Ihnen unser Unternehmensrechts-Team (RA Urs Lepperdinger, RA Julius Weißenberg, RA Dr. Theodor Seitz, RA Jochen Lang und RA Dr. Christoph Knapp) gerne zur Verfügung.

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