Entscheidungen des BGH zur Corporate Governance bei der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea - SE) sind selten und daher umso wichtiger für die Praxis des Gesellschaftsrechts. Vorliegend stehen die gesellschaftsrechtliche Fragen im Kontext einer Schenkung von Kunstwerken mit Fragen der Vertretung und des Schenkungswiderrufs.
1. Zum Sachverhalt
Ein 99-jähriger Unternehmer, Kunstsammler und Mäzen gründete 2014 eine Europäische Gesellschaft (Societas Europaea - SE) zur gemeinnützigen Förderung von Kunst und Kultur. Er war zunächst alleiniger Aktionär und geschäftsführender Direktor mit Alleinvertretungsrecht. Nach einer Kapitalerhöhung hielt seine Lebensgefährtin 90% der Aktien und wurde Mitglied des Verwaltungsrats sowie später geschäftsführende Direktorin.
Der Unternehmer schloss 2015 als geschäftsführender Direktor im eigenen Namen und im Namen der SE einen notariell beurkundeten „Schenkungsvertrag auf den Todesfall“ über vier wertvolle Kunstwerke von Twombly, Hofmann, Picasso und Chia ab. Die Schenkung sollte mit seinem Tod wirksam werden. 2019/2020 widerrief er die Schenkung aus verschiedenen Gründen. Er stützte dies auf den Vorwurf, die geschäftsführende Direktorin habe zahlreiche geschäftliche Transaktionen zu seinem Nachteil durchgeführt, eine Beziehung zu einem anderen Mann unterhalten und einen Gesamtplan zur Selbstbereicherung verfolgt, und erklärte deshalb die Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung, den Widerruf wegen groben Undanks sowie den Rücktritt wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
Nach seinem Tod im September 2020 kam es zum Rechtsstreit zwischen der SE als Klägerin und seinem Erben über die Wirksamkeit des Schenkungsvertrags.
2. Entscheidung des BGH
Der BGH hat den Schenkungsvertrag für unwirksam erklärt. Die Entscheidung stützt sich auf mehrere zentrale Aspekte:
a) Grundsätzliche Vertretungsregelung bei einer monistisch verfassten SE
Nach § 41 Abs. 5 SEAG ist bei einer monistisch verfassten SE für Rechtsgeschäfte mit geschäftsführenden Direktoren ausschließlich der Verwaltungsrat vertretungsberechtigt. Diese Regelung ist § 112 AktG nachgebildet und dient dem Schutz der Gesellschaft vor Interessenkonflikten. Die Vertretungsregelung gilt unabhängig davon, ob im Einzelfall tatsächlich Interessenkonflikte bestehen.
b) Keine Ausnahme für lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte
Anders als bei § 181 BGB (Verbot des Selbstkontrahierens) gibt es keine Ausnahme für lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte. Der Schutzzweck der Norm geht über § 181 BGB hinaus und dient auch der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die Vertretungsbefugnis des Verwaltungsrats ist zwingend und kann auch nicht durch Satzung oder Geschäftsordnung abbedungen werden.
c) Zur nachträglichen Genehmigung
Eine nachträgliche Genehmigung durch den Verwaltungsrat wäre grundsätzlich möglich gewesen. Im konkreten Fall war sie jedoch ausgeschlossen, da der Erbe den Vertrag zuvor nach § 178 BGB wirksam widerrufen hatte. Der Widerruf erfolgte durch einen Schriftsatz im Parallelverfahren, der der geschäftsführenden Direktorin (die zugleich Verwaltungsratsmitglied war) zugestellt wurde.
d) Keine Treuwidrigkeit
Der BGH sah es nicht als treuwidrig an, dass sich der Erbe auf die fehlende Vertretungsmacht berief. Der Vertrag war noch nicht erfüllt. Bereits vor dem Erbfall gab es Streit über die Wirksamkeit. Der Erblasser hatte sich vorbehalten, sich auf weitere Unwirksamkeitsgründe zu berufen. Der Schutzzweck des § 41 Abs. 5 SEAG steht einer solchen Berufung nicht entgegen.
e) Zur Verwirkung
Eine Verwirkung des Widerrufsrechts lehnte der BGH ab. Es fehlte an einem Vertrauenstatbestand, aus dem die SE hätte schließen können, dass kein Widerruf mehr erfolgen würde. Der bloße Zeitablauf reicht für eine Verwirkung nicht aus.
3. Praxisempfehlungen
Die Entscheidung des BGH hat erhebliche praktische Bedeutung für alle SEs mit monistischem System. Zu beachten ist insbesondere:
• Verträge zwischen der SE und geschäftsführenden Direktoren müssen zwingend vom Verwaltungsrat abgeschlossen werden. Die geschäftsführenden Direktoren sind dafür nicht vertretungsbefugt.
• Es gibt keine Ausnahmen für lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte. Die Vertretung durch den Verwaltungsrat ist stets erforderlich.
• Eine nachträgliche Genehmigung durch den Verwaltungsrat ist möglich, aber nur solange die andere Vertragspartei nicht widerrufen hat.
• Bei bestehenden Verträgen sollte geprüft werden, ob diese vom richtigen Organ unterzeichnet wurden. Gegebenenfalls ist eine Genehmigung durch den Verwaltungsrat einzuholen.
Die Entscheidung unterstreicht die besondere Bedeutung der Corporate Governance auch in der monistischen SE, in welcher die strikte Kompetenzverteilung zwischen Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren zu beachten ist.
Für eine individuelle Beratung zu diesem Thema und allen unternehmensrechtlichen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.