Steuerfreie Veräußerung von Nachlassvermögen

Dr. Rudolf Wittmann

Wie bereits der Tagespresse zu entnehmen war, hat der Bundesfinanzhof (BFH) kürzlich entschieden, dass beim Verkauf einer zum Nachlass einer Erbengemeinschaft gehörenden Immobilie im Regelfall keine Einkommensteuer anfällt.

Das Urteil ist zu einer Erbengemeinschaft aus drei Miterben ergangen, wobei sich im Nachlass auch Immobilienvermögen befand. Wie in solchen Fällen verbreitet, wurde die Erbengemeinschaft im Urteilsfall – vereinfacht gesagt – in der Weise aufgelöst, dass ein Miterbe die Anteile der beiden anderen Miterben an der Erbengemeinschaft erwarb und die Immobilie nachfolgend veräußerte. Nach bisheriger Rechtsprechung und langjähriger Verwaltungspraxis (BMF-Schreiben aus dem Jahr 2006) wurde der Erwerb der Anteile an der Erbengemeinschaft bislang als Anschaffungsgeschäft betrachtet und der nachfolgende Verkauf der Immobilie als „privates Veräußerungsgeschäft“ im Sinn des § 23 EStG. Bei zeitnahem Verkauf war dies ein einkommensteuerpflichtiger Vorgang, da die Veräußerung einer Immobilie innerhalb von zehn Jahren nach dem Kauf im Regelfall gemäß § 23 EStG steuerpflichtig ist.

Der Bundesfinanzhof kam nun – nachdem das Finanzgericht München noch im Sinne der bisherigen Rechtsauffassung entschieden hatte – zu dem Ergebnis, dass die Übernahme von Anteilen an einer Erbengemeinschaft doch kein Anschaffungsgeschäft ist, sodass damit die Basis für die Besteuerung des Verkaufs als privates Veräußerungsgeschäft fehlt.

Das Urteil datiert vom September 2023 und wurde kürzlich durch Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs bekannt gemacht. Da es sich um eine Sachverhaltsgestaltung handelt, die in vielen Fällen von den Beteiligten zur Auflösung einer Erbengemeinschaft gewählt wird, kann dem Urteil größere Breitenwirkung zukommen.

Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Finanzverwaltung bereit ist, ihre gefestigte und langjährig auch vom Bundesfinanzhof unterstützte Rechtsauffassung nach dem jetzt ergangenen Urteil kommentarlos aufzugeben, oder ob eine Verfügung ergeht, dass das Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus von der Finanzverwaltung nicht anzuwenden ist („Nichtanwendungserlass“). Eine solche Vorgehensweise wäre nicht fernliegend, da die Streitfrage – ob nämlich mit der Übernahme von Anteilen von Miterben einer Immobilie ein Anschaffungsgeschäft im steuerlichen Sinne vorliegt – maßgeblich auf normativen Wertungen beruht und daher in beide Richtungen beantwortet werden kann – keine Antwort ist eindeutig richtig oder falsch. Es bleibt also spannend.

Autor: Dr. Rudolf Wittmann

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Bundesarbeitsgericht bestätigt: Kein nachträgliches Arbeitnehmerbeteilungsverfahren bei einer Vorrats-SE

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in drei Grundsatzbeschlüssen vom 26.11.2024 (Az. 1 ABR 37/20, 1 ABR 3/23 und 1 ABR 6/23) entschieden, dass bei einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) kein Verfahren zur Arbeitnehmerbeteiligung nachgeholt werden muss, wenn dieses bei der Gründung unterblieben war. Die Entscheidung bestätigt die höchstrichterliche Rechtsprechung des EuGH und hat weitreichende Folgen für die Unternehmenspraxis.

Commercial Courts – Neue Chancen für den Justizstandort Deutschland

Seit dem 1. April 2025 ist das „Gesetz zur Stärkung des Justizstandorts Deutschland“ in Kraft. Damit soll dem Trend entgegengewirkt werden, wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten zunehmend ins Ausland oder in Schiedsverfahren zu verlagern. Mit der Einführung von Commercial Courts und Commercial Chambers bietet Deutschland nun ein spezialisiertes, attraktives Forum für komplexe Unternehmensstreitigkeiten – auch vollständig auf Englisch.

Vorstandshaftung, Verbotsirrtum und anwaltlicher Rechtsrat – Wer sich auf spezialisierte anwaltliche Beratung stützt, kann im Fall regulatorischer Unsicherheit haftungsfrei bleiben

Unternehmerische Entscheidungen werden zunehmend durch ein Dickicht von Regularien begleitet. Besonders in Sektoren wie Finanzdienstleistungen, IT, Compliance oder ESG ist rechtliche Unsicherheit oft systemimmanent – Gesetze sind unklar, Verwaltungspraxis uneinheitlich, Rechtsfortbildung dynamisch.

Vorstände und Geschäftsführer sehen sich in diesen Konstellationen mit erheblichen zivil- und strafrechtlichen Risiken konfrontiert. Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. März 2025 (III ZR 261/23) bietet nun wichtige Klarheit: Frühzeitig eingeholter, qualifizierter anwaltlicher Rechtsrat kann im Falle eines Verbotsirrtums strafrechtlich entlasten – selbst dann, wenn sich die rechtliche Bewertung später als (objektiv) unzutreffend herausstellt.