Preis­an­passungen und Leistungs­verweigerungs­rechte - Die Energiekrise aus vertrags­rechtlicher Sicht

Dr. Christoph Knapp

Vor allem die aufgrund des Ukraine-Kriegs drastisch gestiegenen Energiekosten führen derzeit zu vielfältigen Diskussionen über die Auswirkungen der Kostensteigerungen auf vertragliche Beziehungen zwischen Unternehmen, insbesondere stellen sich Fragen nach Vertragsanpassungen, Preiserhöhungen und Leistungsverweigerungsrechten.

 

I. Vertragsanpassungsverlangen, insbesondere Preiserhöhungen

Bei einem Verlangen nach Preiserhöhung aufgrund stark gestiegener Energiepreise kann rechtlich eine Anpassung des Vertrags wegen Störung oder Geschäftsgrundlage (nach § 313 Abs. 1 BGB vorliegen). Eine wirksame (Preis-)Anpassung auf dieser Grundlage setzt jedoch voraus, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach dessen Abschluss schwerwiegend gerändert haben und die Parteien diesen Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Änderungen vorausgesehen hätten und einer Vertragspartei das Festhalten am Vertrag deswegen unzumutbar ist.

1. Überschreiten der zumutbaren Risikoschwelle

Erstes wesentliches Kriterium eines erfolgreichen Anpassungsbegehrens ist die Überschreitung der Risikoschwelle, die dem leistungsverpflichteten Vertragspartner zuzumuten ist. Die (Ausnahme-)Vorschrift des § 313 BGB ist nämlich grundsätzlich nicht anwendbar, soweit sich durch die Störung der Geschäftsgrundlage ein Risiko verwirklicht, das nach der vertraglichen Risikoverteilung von der die Vertragsanpassung begehrenden Partei zu tragen ist. Das Beschaffungsrisiko und das damit verbundene Risiko der Steigerung der Beschaffungskosten (wie insbesondere die Kostensteigerung beim Einkauf z.B. von Rohmaterialien, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie der Anstieg von Produktions- und Logistikkosten) trägt grundsätzlich der Verkäufer bzw. Lieferant. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Vertrag ein Festpreis vereinbart ist. Gleiches gilt in der Regel, wenn die Parteien Preisgleitklauseln in den Vertrag aufgenommen haben. Dies zeigt, dass sie die Problematik steigender Beschaffungskosten erkannt und möglicherweise sogar abschließend geregelt haben.

2. Absicherung des Risikos

Zweites wichtiges Kriterium ist in diesem Kontext, ob die Parteien das Risiko steigender Beschaffungskosten in irgendeiner Weise abgesichert haben oder ob eine solche Absicherung wenigstens verkehrsüblich gewesen wäre. Ist das der Fall, besteht in der Regel wenig Raum für eine Störung der Geschäftsgrundlage. Dies gilt auch dann, wenn bei Vertragsschluss die Umstände, die zur Preissteigerung führen, bereits eingetreten waren (etwa Vertragsschluss nach Beginn des Ukraine–Kriegs). Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen kommt unter Umständen dann in Betracht, wenn die Partei, welche die Anpassung begehrt, in ihrer Existenz bedroht ist. Maßgeblich bleibt immer eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.

3. Keine vollständige Kompensation der Mehrkosten

Drittens ist auch folgendes zu beachten: Der Vertrag darf im Regelfall nur gerade soweit angepasst werden, bis die Erbringung der Leistungen gerade wieder zumutbar wird. Eine vollständige Kompensation der Mehrkosten wird im Normalfall nicht gewährt.

 


II. Leistungsverweigerungsrechte gegenüber Vertragspartnern

Leistungsverweigerungsrechte kommen besonders im Falle eines abgelehnten Preisanpassungsverlangens und bei einer Abschaltungsanordnung der Bundesnetzagentur (BNetzA) in Betracht.

1. Leistungsverweigerungsrechte und Preisanpassungsverlangen

Im Kontext von Preisanpassungsverlangen stellt sich in Zeiten der Energiekrise auch die Frage nach Leistungsverweigerungsrechten gegenüber einem Vertragspartner. Hier ist zwischen der Lieferanten- und Kundenperspektive zu differenzieren:

a) Sicht des Lieferanten

Aus der Perspektive des Lieferanten kann sich zunächst die Frage stellen, wie er mit Lieferungen im Rahmen eines Vertrags umgeht, obwohl der Vertragspartner z.B. einem – aus Sicht des Lieferanten berechtigten – Preisanpassungsbegehren nach § 313 Abs. 1 BGB nicht zustimmt. Der Lieferant kann nun zwar einen Lieferstopp erwägen, eine tragfähige rechtliche Grundlage dürfte es dafür aber nur in einzelnen Fällen geben. Denn erhöhte Produktionskosten aufgrund gestiegener Energiepreise erlauben dem Lieferant nicht, die Leistung wegen (wirtschaftlicher) Unmöglichkeit zu verweigern. Diese Fälle sind – sofern keine einschlägigen vertraglichen Regelungen bestehen – nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage zu behandeln (s.o.). Ist der Lieferant nach den vertraglichen Regelungen vorleistungspflichtig, kommt auch eine Leistungsverweigerung nach § 321 BGB in Betracht, wenn erkennbar wird, dass sein Anspruch auf Zahlung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des Kunden gefährdet wird. Liegt beim Kunden ein Insolvenzgrund nach der Insolvenzordnung (InsO) vor, dürfte dieses Merkmal meist erfüllt sein. Mit Blick auf den Insolvenzgrund der Überschuldung ist in diesem Zusammenhang zwar auch zu beachten, dass nach der Absicht des Gesetzgebers der Prognosezeitraum für die insolvenzrechtliche Fortführungsprognose von zwölf auf vier Monate reduziert werden soll. Für die Frage eines Leistungsverweigerungsrechts aus § 321 BGB dürfte aber ungeachtet des Prognosezeitraums für die
Fortführungsprognose entscheidend sein, ob der Kunde die Forderung zum Zeitpunkt der Fälligkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllen kann.

In der Regel bleibt also letztlich nur der Klageweg, um die geltend gemachte Preiserhöhung durchzusetzen, sollten die Parteien kein Einvernehmen erzielen. Einstweiliger Rechtsschutz im Wege der Leistungsverfügung wird nur in engen Ausnahmefällen erfolgreich sein. Voraussetzung für die erforderliche Dringlichkeit (der sog. Verfügungsgrund) ist in diesen Fällen, dass der Lieferant dringend darauf angewiesen ist, dass sein Zahlungsanspruch sofort erfüllt wird, die Geldleistung kurzfristig zu erbringen ist und die drohenden Nachteile aus der Nichtleistung schwer wiegen und zu dem beim Kunden entstehenden Schaden außer Verhältnis stehen. Das dürfte in der Regel nur bei existentiellen Notlagen begründbar sein.

b) Sicht des Kunden

Aus der Sicht des Kunden kann im Falle eines – aus dessen Sicht unberechtigten – Lieferstopps eine einstweilige Verfügung auf Weiterbelieferung erwogen werden. Die Anforderungen an den Verfügungsgrund sind ebenfalls hoch, dürften sich aber insgesamt etwas einfacher begründen lassen als aus der Sicht des Lieferanten. Der
Verfügungsgrund kann sich z.B. aus einem drohendem Stillstand der Produktion ergeben, wenn dadurch so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass dem Kunden nicht zugemutet werden kann, seine Ansprüche auf dem Klageweg durchzusetzen oder im Nachgang Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Bei der immer im
Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung ist auch von Bedeutung, wie klar die Rechtslage bezüglich des geltend gemachten Verfügungsanspruchs ist.

2. Leistungsverweigerungsrechte und Abschaltungsanordnung der BNetzA

Bei einer Verschärfung der Versorgungslage kann die Bundesregierung die Notfallstufe als letzte Stufe des „Notfallplans Gas“ aktivieren. Der BNetzA würde dann die Rolle des „Bundeslastverteilers“ zukommen und sie kann durch entsprechende Verfügungen partielle oder vollständige Abschaltungen von Gasverbrauchsstellen anordnen. In
dem Fall, dass der Lieferant, z.B. ein energieintensives Unternehmen, von einer solchen Abschaltverfügung der BNetzA betroffen ist und deswegen die Produktion einstellen muss, dürfte objektive Unmöglichkeit vorliegen. Der Lieferant wäre damit grundsätzlich berechtigt, gegenüber seinen Kunden die Lieferung für die Dauer der Abschaltung
zu verweigern, im Gegenzug erlischt für diesen Zeitraum jedoch sein Anspruch auf die Vergütung.

Kann der Lieferant trotzdem einzelne seiner Vertragspartner beliefern (z.B. wegen einer Teilmengenreduzierung seitens der BNetzA, aufgrund eigener Stromproduktion mit anderen Brennstoffen, die für einen Teil der Produktion ausreichen, oder aufgrund noch vorhandener Lagerbestände etc.), stellt sich die weitere Frage: Welche Kunden dürfen oder müssen gar primär beliefert werden? Eine Möglichkeit könnte z.B. die Erteilung von Auflagen durch die BNetzA mit der Abschaltverfügung sein, mit den verbliebenen Kapazitäten beispielsweise (nur) solche Kunden zu beliefern, die ihrerseits einen Beitrag leisten, um lebenswichtige Bereiche aufrecht zu erhalten. Hier bleibt abzuwarten, wie konkret die BNetzA ihre Verfügungen in den Einzelfällen oder in einer Allgemeinverfügung ausgestaltet, sollte es dazu kommen. Gibt es keine Vorgaben seitens der BNetzA, führt eine Mehrfachverpflichtung grundsätzlich nicht zur rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung. Unmöglichkeit ist vielmehr erst gegeben, wenn der Schuldner z.B. einen seiner Gläubiger mit der Folge beliefert, dass er andere Gläubiger nicht mehr beliefern kann. Bei der Entscheidung, welchen Gläubiger er beliefert, ist der Lieferant grundsätzlich frei. Es besteht jedoch das Risiko, dass die nicht belieferten Gläubiger ihn auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Welchen Kunden er beliefert, ist demnach auch eine Frage der eigenen Risikoeinschätzung.

III. Schadensersatzansprüche wegen Nichtlieferung oder Verzug

Bei Nichtlieferung oder Verzug des Lieferanten kommen außerdem Schadensersatzansprüche des Kunden wegen Unmöglichkeit, Nichtlieferung trotz Möglichkeit oder Verzug in Betracht. Hat sich der Lieferant z.B. zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht gestützt, können sowohl eine Pflichtverletzung als auch Vertretenmüssen vorliegen.

Dem Kunden wäre dann derjenige Schaden zu ersetzen, der durch die Nichtlieferung entstanden ist. Diese Schäden können erheblich sein, wenn beim Kunden beispielsweise ein Produktionsstillstand eintritt, und für den unberechtigt verweigernden Verkäufer existenzbedrohend werden. Das Schadensersatzrisiko bei unberechtigtem Lieferstopp ist daher sehr sorgfältig zu prüfen.

Anders dürfte der Fall zu beurteilen sein, in dem eine Nichtlieferung aufgrund einer Abschaltung durch die BNetzA erfolgt, weil dem Lieferanten infolgedessen z.B. selbst kein Strom für die Produktion zur Verfügung stand. Hier läge zwar ein Fall von Unmöglichkeit vor, der Lieferant wird diese Unmöglichkeit aber zumeist nicht zu vertreten haben. Dies kann dann anders sein, wenn er Vorsorge für diesen Fall hätte treffen können. Wiederum anders liegt der Fall dann, wenn der Lieferant nur einen von mehreren Kunden beliefert. Dann kommt grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch des nicht belieferten Kunden in Betracht.

Für Ihrer vertragsrechtlichen Angelegenheiten steht Ihnen unser Unternehmensrechts-Team (RA Dr. Theodor Seitz, RA Dr. Sven Friedl, RA Urs Lepperdinger, RAin Sandra Hollmann und RA Dr. Christoph Knapp gerne zur Verfügung.

 

Autor: Dr. Christoph Knapp

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