Diebstahl von einem Liter Desinfektionsmittel – Fristlose Kündigung

Seitz Weckbach Fackler & Partner

In Zeiten der Corona-Pandemie sind so manch alltägliche Gebrauchsgegenstände zu Mangelware geworden. Hierbei sei an die zum Teil leeren Nudeln-, Mehl- oder auch Toilettenpapierregale in den Supermärkten erinnert. Gleichzeitig stieg aber auch die Nachfrage nach Desinfektionsmittel, welches gerade im Frühjahr 2020 äußerst schwierig zu erhalten war. Ein Mitarbeiter eines Paketzustellers wurde im März 2020 fristlos gekündigt, nachdem er von seinem Arbeitsplatz einen Liter des raren Desinfektionsmittels entwendete. Das LAG Düsseldorf hat nun die Berufung des Arbeitnehmers zurückgewiesen.


Der Kläger war seit dem Jahr 2004 bei einem Paketzustellunternehmen der Beklagten, als Be- und Entlader sowie Wäscher für die Fahrzeuge beschäftigt. Die Wäsche der Wagen erfolgte in Nachtschicht mit sechs bis sieben Kollegen. Der Kläger konnte sein Privatfahrzeug in der Nähe des Arbeitsplatzes abstellen. Bei der stichprobenartigen Ausfahrtkontrolle am 23.03.2020 gegen 07.50 Uhr fand der Werkschutz im Kofferraum des Klägers eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt ca. 40,00 Euro. Es kam damals bei der Beklagten immer wieder vor, dass Desinfektionsmittel aus den Waschräumen entwendet wurde. Der Personalausschuss des Betriebsrats stimmte am 24.03.2020 der fristlosen Kündigung des Klägers nach Befragung von Zeugen abschließend zu. Die fristlose Kündigung wurde dem Kläger am 25.03.2020 zugestellt.

Der Kläger erhob gegen die fristlose Kündigung Kündigungsschutzklage. Der Kläger führte aus, er habe sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und eventuell seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht. Er müsse kein Desinfektionsmittel stehlen, weil seine Frau in der Pflege arbeite und die Familie über sie ausreichend versorgt sei. Die Arbeitgeberin hat behauptet, dass der Kläger dem Werkschutz gesagt habe, dass er das Desinfektionsmittel habe mitnehmen dürfen, um sich unterwegs die Hände zu desinfizieren. Sie habe mit Aushängen im Sanitärbereich darauf hingewiesen, dass das Mitnehmen von Desinfektionsmitteln eine fristlose Kündigung und Anzeige zur Folge habe.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf – keine vorherige Abmahnung erforderlich

Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts hat wie bereits das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Es liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor. Die Einlassungen des Klägers sind nicht glaubhaft. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger sich das Desinfektionsmittel zugeignet hat, um es selbst zu verbrauchen. Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahe gelegen, das Desinfektionsmittel auf den Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen, zumal in der Nacht nur sechs bis sieben Kollegen arbeiteten. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen verwenden wollte, denn weder hatte er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahrt noch ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es benutzen können. Schließlich war die aufgefundene Flasche nicht angebrochen. Auch in Ansehung der langen Beschäftigungszeit war keine vorherige Abmahnung erforderlich. Der Kläger hat in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware war und in Kenntnis davon, dass auch die Beklagte mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Dabei hat der Kläger ebenfalls in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen. In Ansehung dieser Umstände musste ihm klar sein, dass er mit der Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdete. Auch die Interessenabwägung fiel angesichts dieser Umstände zu Lasten des Klägers aus.

Fazit

Die Besonderheit dieses Falles war sicherlich der Corona-Pandemie geschuldet. Offen bleibt, ob auch ohne diese Pandemie die Kündigung wegen Diebstahls eines Liters Desinfektionsmittels gerechtfertigt gewesen wäre.  Jedoch ist wieder zu beobachten, dass bereits der Diebstahl auch geringwertiger Gegenstände eine (fristlose) Kündigung rechtfertigt. Dabei stellt die Rechtsprechung auf den damit verbundenen Vertrauensbruch ab:  Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann sogar einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat.

Autor: Marco Hermann

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