Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 16.05.2024 (Az. C-706/22) entschieden, dass eine SE, die zum Zeitpunkt ihrer Gründung keine Arbeitnehmer beschäftigt, nicht verpflichtet ist, das Verhandlungsverfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer nachzuholen, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt herrschendes Unternehmen von Tochtergesellschaften mit Arbeitnehmern in einem oder mehreren EU-Mitgliedstaaten wird.
Hintergrund des Vorabentscheidungsverfahrens war die Gründung einer arbeitnehmerlosen Holding-SE der Olympus-Gruppe nach britischem Recht im Jahr 2013. Diese SE wurde nach ihrer Eintragung Alleingesellschafterin einer deutschen GmbH mit Drittelmitbestimmung. Durch einen Rechtsform- und Gesellschafterwechsel wurde die Holding-SE Kommanditistin einer KG und Alleingesellschafterin der Komplementärin sowie herrschendes Unternehmen einer EU-weit tätigen Unternehmensgruppe mit insgesamt über 2.800 Arbeitnehmern. Durch die Umwandlung in eine KG war der Mitbestimmungsstatus entfallen.
Nach Verlegung des Geschäftssitzes nach Deutschland im Jahr 2017 beantragte der Konzernbetriebsrat die Einleitung des Beteiligungsverfahrens nach §§ 4 ff. SEBG. Dies lehnten sowohl das ArbG Hamburg als auch das LAG Hamburg ab. Auf Vorlage des BAG hatte sich nun der EuGH mit der Frage zu befassen, ob das Beteiligungsverfahren in einem solchen Fall nachzuholen ist.
Der EuGH verneinte eine Nachholpflicht. Der Unionsgesetzgeber habe bewusst auf eine entsprechende Regelung verzichtet, unter anderem um die Stabilität bereits gegründeter SE zu gewährleisten.
Das Urteil bringt Klarheit für die Praxis und stärkt das Konstrukt der Vorrats-SE. Es eröffnet Spielräume, die Unternehmensmitbestimmung zu gestalten, weil der EuGH in seiner Argumentation auf die Möglichkeit einer dauerhaft beteiligungsfreien SE hinweist. Abzuwarten bleibt, ob der Gesetzgeber mit Konkretisierungen des Missbrauchsverbots reagieren wird. Auf EU-Ebene sind Verschärfungen der Unternehmensmitbestimmung derzeit nicht absehbar.
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Autor: Dr. Christoph Knapp