Neue Macht des Bundeskartellamts? - die 11. GWB-Novelle

Sandra Hollmann

Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sieht in der 11. GWB-Novelle, die am 7.11.2023 in Kraft getreten ist, eine Antwort auf die krisenhaften (Preis–)Entwicklungen, die infolge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine besonders deutlich zutage getreten sind. Im Wesentlichen sind mit der Reform drei Neuerungen verbunden, die die Befugnisse des Bundeskartellamts (BKartA) erweitern.

1. Flankieren des Digital Market Act (DMA, VO (EU) 2022/1925)

Der DMA enthält wettbewerbsrechtliche Regelungen für sogenannte „Torwächter“ im digitalen Markt. „Torwächter“ sind zentrale Plattformdienste mit außergewöhnlich hoher wirtschaftlicher Bedeutung, wie z.B. Online-Dienste sozialer Netzwerke, Online Suchmaschinen, Webbrowser u.ä. Durch neue Untersuchungsbefugnisse des Bundeskartellamts und durch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche für die zivilrechtliche Durchsetzung von Ansprüchen nach dem DMA wird nun gewährleistet, dass die EU-weit geltenden Regelungen des DMA auch durchgesetzt werden können. Diese neuen Befugnisse des BKartA sind also an sich logische Folge des DMA.

2. Erleichterung der Vorteilsabschöpfung

34 GWB gibt deutschen Kartellbehörden seit 1999 die Möglichkeit, rechtswidrig erlangte Vorteile aus Kartellen abzuschöpfen. Diese Norm kam in der Praxis bislang kaum zum Tragen. Die reformierte Klausel des § 34 Abs. 4 GWB erlaubt nun eine Schätzung der kartellrechtswidrig erlangten Vorteile und eine doppelte Vermutung hinsichtlich des Verschuldens sowie der Höhe des erlangten Vorteils. In der Literatur werden hiergegen verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, da die Vorteilsabschöpfung bislang zurecht an hohe Hürden geknüpft war. Die Instrumente des Kartellbußgeldrechts und des Kartellschadensersatzes, dessen Durchsetzung mittlerweile erleichtert und in der Praxis gut belebt ist, bieten an sich bereits guten Schutz für die Opfer bzw. eine staatliche Sanktionierungsmöglichkeit. Es bleibt vor diesem Hintergrund abzuwarten, welche Rolle diese erweiterte Befugnis des Bundeskartellamts in Zukunft spielen wird.

3. Neue Instrumente für das BKartA nach Sektoruntersuchung

Der neue § 32f GWB gibt dem Bundeskartellamt weitreichende Befugnisse nach einer Sektoruntersuchung. Sektoruntersuchungen kann das Bundeskartellamt in einer bestimmten Branche auch ohne Verdacht auf einen konkreten Kartellverstoß einleiten und dadurch Erkenntnisse über die Wettbewerbsverhältnisse auf einem bestimmten Markt gewinnen. Bislang hat das Bundeskartellamt ca. 20 solche Sektoruntersuchungen durchgeführt, die bislang in der Regel nur mit einem Bericht des Bundeskartellamts abgeschlossen worden.

Nun kann das Bundeskartellamt darüber hinaus nach Abschluss einer Sektoruntersuchung Unternehmen und Unternehmensvereinigungen eines bestimmten Wirtschaftszweiges oberhalb eines bestimmten Schwellenwertes dazu verpflichten, für einen bestimmten Zeitraum jeden Zusammenschluss im Rahmen eines Fusionskontrollverfahrens anzumelden, wenn das Bundeskartellamt aus objektiv nachvollziehbaren Gründen den wirksamen Wettbewerb in diesem Sektor für gefährdet hält. Ein konkreter Wettbewerbsverstoß muss dabei nicht vorliegen.

Außerdem kann das Bundeskartellamt in Fällen der erheblichen oder fortwährenden Störung des Wettbewerbs marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen mit weitreichenden Befugnissen entflechten. Dabei wird das betroffene Unternehmen behördlich verpflichtet, Unternehmensanteile oder Assets zu veräußern. „Die 11. GWB-Novelle ermöglicht es dem Bundeskartellamt, erhebliche und dauerhafte Störungen des Wettbewerbs auch ohne nachgewiesenen Rechtsverstoß anzugehen,“ so Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelungen Bestand haben, oder verfassungsrechtlich angegriffen werden. Kritiker sehen in diesen neuen Befugnissen des Bundeskartellamts einen „Eingriff in das System“ (Prof. Dr. Stephan Wernicke, DIHK, im Anhörungsverfahren des Bundestags), da dem Bundeskartellamt Möglichkeiten der aktiven Marktgestaltung eingeräumt würden. Bislang gibt es in keinem der anderen EU-Länder vergleichbare kartellrechtliche Regelungen. Befürworter sehen in der Novelle hingegen eine Garantie für funktionierenden Wettbewerb auch in Märkten, „die verkrustet sind“ (Mundt). Sie erhoffen sich infolgedessen einen Standortvorteil für die Bundesrepublik Deutschland.

Autorin: Rechtsanwältin Sandra Hollmann

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Vorstandshaftung, Verbotsirrtum und anwaltlicher Rechtsrat – Wer sich auf spezialisierte anwaltliche Beratung stützt, kann im Fall regulatorischer Unsicherheit haftungsfrei bleiben

Unternehmerische Entscheidungen werden zunehmend durch ein Dickicht von Regularien begleitet. Besonders in Sektoren wie Finanzdienstleistungen, IT, Compliance oder ESG ist rechtliche Unsicherheit oft systemimmanent – Gesetze sind unklar, Verwaltungspraxis uneinheitlich, Rechtsfortbildung dynamisch.

Vorstände und Geschäftsführer sehen sich in diesen Konstellationen mit erheblichen zivil- und strafrechtlichen Risiken konfrontiert. Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. März 2025 (III ZR 261/23) bietet nun wichtige Klarheit: Frühzeitig eingeholter, qualifizierter anwaltlicher Rechtsrat kann im Falle eines Verbotsirrtums strafrechtlich entlasten – selbst dann, wenn sich die rechtliche Bewertung später als (objektiv) unzutreffend herausstellt.

 

Der Countdown läuft: in zwei Monaten gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für B2C-Onlineshops

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist ein wichtiger Schritt, um den Zugang zu digitalen Angeboten für alle Menschen zu verbessern, insbesondere für Menschen mit Behinderung. Die Regelungen richten sich unter anderem an Onlinehändler, die B2C verkaufen. Ab dem 28.06.2025 müssen bestimmte Vorgaben zur Zugänglichkeit von Online-Inhalten umgesetzt sein. Höchste Zeit also, sich mit dem BFSG vertraut zu machen.

BGH erlaubt Ausschluss von AGB-Recht in Schiedsvereinbarungen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer wichtigen Entscheidung vom 9. Januar 2025 (Az. I ZB 48/24) die Rechtssicherheit bei Schiedsvereinbarungen zwischen Unternehmen deutlich erhöht. Das Urteil ermöglicht es Vertragsparteien, deutsches Recht als anwendbares Recht zu wählen, dabei jedoch die Anwendung des deutschen AGB-Rechts (§§ 305-310 BGB) auszuschließen.