Corona und Insolvenz

Seitz Weckbach Fackler & Partner

Die Corona-Ausnahmeregelungen für die Stundung von Miet- und Kreditzahlungen sind zum 30.06.2020 ausgelaufen. Im Gegensatz dazu beabsichtigt die Bundesjustizministerin, überschuldete Unternehmen nicht nur bis zum 30.09.2020 von einer Insolvenzantragspflicht freizustellen, sondern bis zum 31.03.2021. Auch die CDU-/CSU- Bundestagsfraktion spricht sich für eine Verlängerung aus, jedoch nur bis zum 31.12.2020. Demgegenüber sollte dem Bundesverband der Insolvenzverwalter zufolge die Aussetzung nicht fortgesetzt werden, da nicht zuletzt auch solche Unternehmen der Insolvenz entgangen sind, die ohne Pandemie schon längst einen Insolvenzantrag hätten stellen müssen. Insofern ist davon auszugehen, dass für Unternehmen in der Krise noch maximal eine Frist von fünf bis acht Monaten bleibt, die Sanierungsbemühungen voranzutreiben und den „turn-around“ zu schaffen.

Was also ist zu tun?

Hintergrund

Aktuell sieht § 1 Abs. 1 S. 1 COVInsAG eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für einen vorübergehenden Zeitraum bis zum 30.09.2020 vor, um Unternehmen Gelegenheit zu geben, den Insolvenzgrund durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfen und Abschluss von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen abzuwenden. Gemäß § 4 COVInsAG ist das Bundesjustizministerium ermächtigt, diesen Zeitraum bis zum 31. März 2021 zu verlängern.

Die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hat eine positive und eine negative Voraussetzung:

  • Als positive Voraussetzung muss die Insolvenzreife eine Folge der COVID-19- Pandemie sein.
  • Als negative Voraussetzung müssen Aussichten dafür bestehen, dass die Gesellschaft in der Lage ist, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Bezüglich beider Voraussetzungen hilft dem Unternehmer die in § 1 Abs. 1 S. 3 COVInsAG niedergelegte gesetzliche Vermutung, dass

(1.) die Insolvenzreife Folge der Pandemie ist und

(2.) die Möglichkeit besteht, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen,

wenn die Gesellschaft am 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig war.

Lag hingegen bereits bis zum 31.12.2019 eine Zahlungsunfähigkeit vor, so besteht die Gefahr, dass die allgemeinen insolvenzrechtlichen Antragspflichten uneingeschränkt fortgelten, mithin bestand / besteht die Antragspflicht längstens innerhalb von drei Wochen nach Vorliegen eines Insolvenzgrundes.

Auch wenn die gesetzliche Vermutung gegen das Vorliegen eines Insolvenzgrundes spricht, sollte von Seiten der Geschäftsleitung (Geschäftsführung/Vorstand) dringend eine fundierte Prognose erstellt werden, die belegt, dass jedenfalls im Dezember 2019 kein Insolvenzgrund vorlag. Diese Prognose sollte aus Gründen der Beweisbarkeit schriftlich dokumentiert werden. Ergänzend hierzu sollten zwei Liquiditätsplanungen für das Jahr 2020 erstellt werden, eine unter Einbeziehung der COVID-19-Pandemie und eine „normale“ ohne die pandemischen Sonderfaktoren. Auch eine solche Gegenüberstellung dient der Dokumentation, dass etwaige Insolvenzgründe einzig auf der Pandemie beruhen.

Während der pandemiebezogenen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollte jeder Geschäftsleiter engmaschig die Liquidität seines Unternehmens kontrollieren und vorsorglich zumindest vierteljährlich (d.h. zum 30.06.2020 und – unter der Prämisse der Verlängerung der Aussetzung der Antragspflicht bis zum 31.03.2021 – zum 30.09.2020 resp. 31.12.2020) erneut dokumentierte Prüfungen der andauernden Zahlungsfähigkeit anstellen. Sofern nämlich – trotz grundsätzlicher Aussetzung der Antragspflicht – positiv feststeht, dass keine Aussichten bestehen, dass eine Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden kann, wird die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 1 S. 3 COVInsAG widerlegt werden.

In einem sich anschließenden Insolvenzverfahren wird der (zwar) beweisbelastete Insolvenzverwalter versuchen, diese Vermutung anzugreifen, um eine Haftung der Geschäftsführung resp. des Vorstands wegen verspäteter Insolvenzantragstellung herbeizuführen. Sofern dann

  • der Nachweis geführt werden kann, dass Ende 2019 keine Zahlungsprobleme bestanden,
  • ein Abgleich der Liquiditätsplanungen eine konkrete Abhängigkeit der Schwierigkeiten von der COVID-19-Pandemie darlegt und
  • eine dauerhafte und engmaschige Liquiditätskontrolle nachgewiesen werden kann,

wird diese Beweisführung zumindest erheblich erschwert.

Geschäftsführerhaftung: Das Schicksal „verbotener“ Zahlungen

Ausgehend von dem Grundsatz der „Normalsituation“ unterliegt ein Geschäftsführer / Vorstand vielfältigen Haftungsansprüchen für veranlasste Zahlungen aber auch für Zahlungseingänge auf dem „falschen“ Konto.

Durch § 2 Abs. 1 COVInsAG werden auch die Haftungsrisiken der Geschäftsführer / Vorstände reduziert, sofern die Voraussetzungen der Aussetzung im Sinne der vorherigen Ausführungen vorliegen. Auch hier jedoch kommt es entscheidend darauf an, dass eine etwaige Insolvenzreife ausschließlich auf der COVID-19-Pandemie beruht und die Möglichkeit besteht, dass die Zahlungsunfähigkeit beseitigt wird. Insofern gelten die obigen Anmerkungen entsprechend.

Von diesen Haftungserleichterungen sind insbesondere die an die Insolvenzreife geknüpften Zahlungsverbote nach § 64 Satz 2 GmbHG und § 92 Absatz 2 Satz 2 AktG umfasst, die für den Zeitraum der Aussetzung der Antragspflicht suspendiert sind. Während im „Normalfall“ nahezu jegliche Zahlungen zu einer Haftung führen, gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Umfasst hiervon sind insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen. Umfasst sind zudem auch Zahlungseingänge auf debitorischen Konten, welche im Normalfall ebenfalls eine Haftung des Geschäftsleiters mit sich bringen. Außergewöhnliche Zahlungen hingegen, die nicht einer der vorgenannten Maßnahmen dienen, führen auch aktuell zu einer Haftungspflicht.

Strafbarkeit aufgrund Insolvenzverschleppung?

Sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass aktuell keine Insolvenzantragspflicht besteht, so entfällt entsprechend auch die Strafbarkeit wegen Nichtstellung eines Insolvenzantrags in diesem Zeitraum. Auch an dieser Stelle ist jedoch zu berücksichtigen, dass ausschließlich dann eine Strafbarkeit entfällt, wenn der Insolvenzgrund tatsächlich auf der COVID-19-Pandemie beruht und die Möglichkeit besteht, dass die Zahlungsunfähigkeit beseitigt wird. Auch aufgrund der das betroffene Organ (Geschäftsführer/Vorstand) persönlich treffenden strafrechtlichen und zivilrechtlichen Haftungsrisiken ist es für jeden Geschäftsleiter höchst ratsam, beide Tatbestandsmerkmale sorgsam zu prüfen und die eigene Prüfung nebst den jeweiligen Prämissen für ihre weitere Unternehmensplanung dauerhaft (schriftlich) zu dokumentieren.

Das Ende der Ausnahmeregelungen

Auch wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31.03.2021 verlängert wird, so leben mit deren Ablauf die Antragspflicht und die zivil- und strafrechtlichen Haftungsregeln wieder auf, wenn ein Insolvenzgrund bis dahin nicht beseitigt ist. Sofern mithin nach Ablauf der Aussetzung der Insolvenzgrund, insbesondere eine etwaige Zahlungsunfähigkeit, fortbesteht und keine kurzfristige (drei Wochen) Ausgleichung des Liquiditätsengpasses in Sicht ist, ist unverzüglich ein Insolvenzantrag zu stellen. Insofern muss spätestens drei Wochen nach Ende der Aussetzung eine Zahlungsunfähigkeit und eine etwaige Überschuldung des Unternehmens erledigt sein.

To-Do-Liste

Angesichts der voranstehenden Ausführungen und den trotz derzeitiger Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bestehenden Risiken empfehlen wir insbesondere der Geschäftsführung von Unternehmen, die in wirtschaftliche Probleme geraten sind, folgende Maßnahmen:

  • Dokumentation der Liquiditätssituation am 31.12.2019: Aus dieser sollte sich ergeben, dass das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt zahlungsfähig war.
  • Sofern möglich: Dokumentation einer Liquiditätsplanung 2020 ohne den Sondereffekt COVID-19. Hierdurch wird dokumentiert, dass unter „normalen“ Umständen keine
  • Zahlungsunfähigkeit eingetreten wäre und insofern – nach Entfall des Sondereffekts COVID-19 – die Möglichkeit besteht, eine etwaige Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
  • Dokumentation einer Liquiditätsplanung einschließlich des Sondereffekts COVID-19.
  • Engmaschige Überwachung der Liquidität und der fälligen Forderungen (sofern möglich: täglicher Finanzstatus) – ein bloßer Verweis auf betriebswirtschaftliche Auswertungen reicht nicht.

Durch die Gegenüberstellung der beiden Liquiditätsplanungen mit und ohne COVID-19 kann beurteilt werden, ob das Vorliegen eines Insolvenzgrunds auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Wie erwähnt, sollten diese Dokumentationen bis zur Beendigung des Aussetzungszeitraums fortgeführt werden, jedenfalls aber – sofern zuvor - bis zur Beseitigung des Insolvenzgrundes.

Wir werden Sie über die laufenden Entwicklungen informieren und stehen gerne für ergänzende Fragestellungen zur Verfügung.

Autor: Dr. Sven Friedl

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