BGH hebt OLG Celle im Fall der Abberufung des Geschäftsführers Martin Kind bei Hannover 96 auf und weist Klage ab

Dr. Christoph Knapp

In einem für alle Gesellschaftsrechtler und Fußballfans spannenden Fall hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 16.07.2024 ein wichtiges Urteil gefällt (Urt. v. 16.7.2024 – II ZR 71/23).

Der Fall des BGH betraf die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers Martin Kind bei Hannover 96. Der BGH trifft mit dem Urteil nicht nur wichtige Klarstellungen zur Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen. Gleichzeitig gibt der Fall Einblicke in die komplexe Beteiligungsstruktur des Fußballvereins Hannover 96 und in verbandsrechtliche Fragen.

I. Sachverhalt

Die beklagte Hannover 96 Management GmbH ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die die am Spielbetrieb der 2. Fußballbundesliga teilnehmende Fußballmannschaft Hannover 96 unterhält. In ihrer Satzung ist geregelt, dass dem Aufsichtsrat die Zuständigkeit für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer obliegt.

Im sog. Hannover-96-Vertrag ist zwischen dem Hannover 96 e.V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und deren einziger Kommanditaktionärin, der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, u.a. vereinbart, dass der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung des GmbH-Geschäftsführers zustehen. An der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG hält Martin Kind die Mehrheit.

Zum verbandsrechtlichen Hintergrund der sog. „50 plus 1“-Regel des DFB ist zu erwähnen, dass gemäß § 16c Nr. 3 Satz 3 der DFB-Satzung der Mutterverein über 50% der Stimmenanteile plus mindestens einen weiteren Stimmanteil in der Versammlung der Anteilseigner verfügen muss. § 16c Nr. 3 Satz 4 DFB-Satzung bestimmt weiter, dass bei einer KGaA der Mutterverein oder eine von ihm zu 100% beherrschte Tochter die Stellung des Komplementärs haben muss.

Der Alleingesellschafter der beklagten Hannover 96 Management GmbH – der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. – berief Martin Kind als den Geschäftsführer der Beklagten ab, und zwar „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses“.

Der betroffene Geschäftsführer Martin Kind hielt die Abberufung für unrechtmäßig und klagte dagegen. Der Mutterverein Hannover 96 hatte nämlich – trotz satzungsmäßiger Bestimmung – ohne die Zustimmung des Aufsichtsrats der Beklagten über die Abberufung entschieden. Aus diesem Grunde hielten in den vorangegangenen Instanzen auch das Landgericht Hannover und das Oberlandesgericht Celle den Abberufungsbeschluss für nichtig.

II. Kernaussagen des BGH

Der BGH gab der Nichtzulassungsbeschwerde der Hannover 96 Management GmbH statt und wies die Klage von Martin Kind ab. Der Beschluss zur Abberufung von Martin Kind war nicht nichtig. Es liegt weder ein Nichtigkeitsgrund nach § 241 Nr. 3 AktG (entsprechend) noch nach § 241 Nr. 4 AktG (entsprechend) vor. Wesentliche Gründe des BGH sind folgende:

•    Ein Verstoß gegen Satzungsbestimmungen, die einem fakultativen Aufsichtsrat die Kompetenz zur Geschäftsführerabberufung zuweisen, begründet keine Nichtigkeit analog § 241 Nr. 3 AktG. Die Beachtung vertraglicher Vereinbarungen (hier: Hannover-96-Vertrag) zählt nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts.

•    Ein bloßer Verstoß gegen Satzungsbestimmungen macht einen Gesellschafterbeschluss nicht sittenwidrig im Sinne von § 241 Nr. 4 AktG analog. Auch die Verletzung vertraglicher Vereinbarungen oder eine Gesamtbetrachtung begründen keine Sittenwidrigkeit.

•    Ein Geschäftsführer ohne Gesellschafterstellung ist nicht befugt, im Wege der Anfechtungsklage Satzungsverletzungen geltend zu machen.

III. Bedeutung für die Praxis

Wichtig für die allgemeine Praxis des Gesellschaftsrechts ist die Feststellung des BGH, dass nur eine Verletzung von tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts die Unvereinbarkeit eines Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen kann. Dazu gehören nicht Satzungsbestimmungen, die einem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen.

Der Fall ist aber auch in verbands- und sportrechtlicher Hinsicht interessant: Der BGH musste zwar über die Reichweite der sog „50 plus 1“-Regel der DFB-Statuten nicht entschieden, weil dies für die Abberufung des Geschäftsführers und damit den konkreten Streitgegenstand nicht von Bedeutung war.

Mit der Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer ist die verbandsrechtliche Dimension zumindest temporär entschärft. Denn die verbandsrechtliche Besonderheit bestand bislang darin, dass die Komplementär-GmbH der Profifußball KGaA zwar – in Übereinstimmung mit den DFB-Statuten – formal zu 100 % vom Mutterverein Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. beherrscht wird. Der wirksam abberufene Geschäftsführer hatte über seine Mehrheitsbeteiligung an der einzigen Kommanditaktionärin, der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, und den Vereinbarungen im sog. Hannover-96-Vertrag aber auch Mitentscheidungsrechte bei der Komplementär-GmbH. Daher war es überaus fraglich, ob das Weisungsrecht des Muttervereins als Alleingesellschafter gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG einen ausreichenden Einfluss im Sinne der „50 plus 1“-Regel sicherte. Diese Zweifelsfrage hat der BGH nun entschärft, indem er der Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH und damit dem Mutterverein die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zubilligt.    

Für die gesellschaftsrechtliche und vertragsgestaltende Beratung steht Ihnen unser Unternehmensrechts-Team (RA Dr. Theodor Seitz, RA Urs Lepperdinger, RA Jochen Lang, RA Julius Weißenberg und RA Dr. Christoph Knapp) gerne zur Verfügung.

 

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