Betriebsvereinbarungsoffene Arbeitsverträge – Chancen und Risiken für die Vertragsgestaltung

Seitz Weckbach Fackler & Partner

Die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis ergeben sich aus dem Gesetz, Tarifverträgen oder dem Arbeitsvertrag. Häufig werden in der Praxis aber auch in Betriebsvereinbarungen Arbeitsbedingungen vereinbart, die z. B. die Vergütung von Reisezeit, die private Dienstwagennutzung oder die Tätigkeit im Homeoffice betreffen. Grundsätzlich kann wegen des Günstigkeitsprinzips in einer Betriebsvereinbarung nur zugunsten des Arbeitnehmers von den im Arbeitsvertrag getroffenen Arbeitsbedingungen abgewichen werden.


Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist eine Abweichung zuungunsten des Arbeitnehmers nicht nur möglich, wenn der Arbeitsvertrag eine Änderung durch Betriebsvereinbarung durch eine sog. Öffnungsklausel ausdrücklich zulässt, sondern auch im Fall der sog. konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit. Allerdings sind die Anforderungen an eine solche Betriebsvereinbarungsoffenheit zwischen den BAG-Senaten teilweise divergierend, was zu einer Rechtsunsicherheit in der (Beratungs-)Praxis führt.

Für die Betriebsparteien ist die Annahme einer konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit in Arbeitsverträgen bei künftigen Änderungen von Arbeitsbedingungen ein interessantes Gestaltungsinstrument. Grundsätzlich haben die Betriebsparteien bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen in Betriebsvereinbarungen eine weite Regelungsbefugnis in allen sozialen Angelegenheiten, vgl. §§ 87 Abs. 1, 88 BetrVG, die lediglich durch den Vorbehalt im Einleitungssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG, den Tarifvorbehalt gem. § 77 Abs. 3 BetrVG und eine allgemeine Billigkeitskontrolle gem. § 75 BetrVG begrenzt wird.

Eine einmal getroffene Regelung im Arbeitsvertrag kann nur einvernehmlich oder einseitig durch eine Änderungskündigung abgeändert werden. Entsprechend selten erfolgt eine Flexibilisierung oder Änderung von Arbeitsbedingungen auf Ebene des Arbeitsvertrages. Demgegenüber steht das Bedürfnis in der Praxis sowohl auf Arbeitgeber- also auch Betriebsratsseite, Arbeitsbedingungen zu harmonisieren und zu vereinheitlichen. Ein weiterer wichtiger Anwendungsbereich ergibt sich bei Betriebs(teil)übergängen, da der Erwerber ein großes Interesse an der Angleichung von Arbeitsbedingungen der übergehenden Arbeitnehmer an die der bisherigen Arbeitnehmer haben wird.

Grundlegend hat 2013 der 1. Senat des BAG entschieden, dass die Arbeitsvertragsparteien ihre Absprachen betriebsvereinbarungsoffen gestalten können. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Vertragsgegenstand in AGB enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat. Der kollektive Bezug wurde in der Rechtsprechung u.a. bei Betriebsrentenregelungen und Altersbefristungsregelungen angenommen.

Begründet wird dies damit, dass aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein kann, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handelt, die einer Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich sind. Der 5. Senat schloss sich dieser Rechtsauffassung an und auch vom 1. Senat wurde diese Auffassung in späteren Entscheidungen immer wieder bestätigt.

2018 äußerte sich der 4. Senat im Rahmen eines obiter dictums jedoch kritisch, da die Annahme, ein verständiger Arbeitnehmer müsse ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Vorbehalt des Arbeitgebers von einer Betriebsvereinbarungsoffenheit ausgehen, dem Transparenzgebot i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht genügen dürfte.

Der 5. Senat und auch der 6. Senat hielten in folgenden Entscheidungen aber an der grundsätzlichen Ansicht des 1. Senats aus dem Jahr 2013 fest.

Zwei Urteile des 5. Senats aus dem Jahr 2020 haben diese grundsätzliche Frage offen-gelassen, da in den zu entscheidenden Fällen vorrangig ein Tarifvertrag (vgl. § 77 Abs. 3 BetrVG) anwendbar gewesen ist. Somit kam es auf die Frage nach dem Verhältnis von Regelungen in einer Betriebsvereinbarung zum Arbeitsvertrag gar nicht an.

Trotz der insoweit einheitlichen Auffassung des BAG, dass Arbeitsbedingungen in AGB konkludent betriebsvereinbarungsoffen sein können, ist keine einheitliche Linie zum Maßstab des Transparenzgebotes sowie zu den genauen Anforderungen eines „kollektiven Bezugs“ des Vertragsgegenstandes und den Grenzen von Öffnungsklauseln erkennbar.

Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der Senate des BAG ist es empfehlenswert, Öffnungsklauseln für Betriebsvereinbarungen in Arbeitsverträgen ausdrücklich zu vereinbaren, um Auslegungsunsicherheiten zu vermeiden. Die Formulierung sollte insbesondere vor dem Hintergrund des Transparenzgebotes gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB klar und verständlich sein.

Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Ebene des Arbeitsvertrages den Vertrag oder einzelne Klauseln jedoch betriebsvereinbarungsfest vereinbaren wollen, empfiehlt es sich, dies klar und verständlich als Klausel in den Arbeitsvertrag aufzunehmen.

Bei schon bestehenden Arbeitsverträgen ohne Öffnungsklausel bietet sich die Einführung einer klar formulierten Öffnungsklausel durch eine Änderungsvereinbarung an. Damit kann die Grundlage für künftige einheitliche Regelungen durch Betriebsvereinbarung geschaffen werden, sofern der Arbeitnehmer mitzieht.

 

Autor: Dr. Jacqueline Ruffing

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Die wichtigsten Änderungen bei der Grundstücks-GbR ab dem 1. Januar 2024 – ein FAQ zu MoPeG und eGbR

Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) tritt am 1. Januar 2024 in Kraft. Es bringt wichtige Neuerungen auch für Grundstücks-GbRs mit sich, insbesondere durch die Einführung eines Gesellschaftsregisters und die „eingetragene GbR“ (eGbR). Wir informieren Sie über die Kernpunkte.

JUVE-Awards 2023: Nominierung als "Kanzlei des Jahres für den Mittelstand"

Unsere Kanzlei zählt bei den diesjährigen JUVE Awards zu den Nominierten in der Kategorie „Kanzlei des Jahres für den Mittelstand". Die Preisverleihung findet am 26. Oktober 2023 in der Alten Oper in Frankfurt am Main statt.

Verbraucher muss auch bei Widerruf nach Vertragserfüllung nicht zahlen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 17.05.2023 (Az.: C-97/22) die Verbraucherrechte erneut gestärkt. Nach dieser Entscheidung soll ein Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung von Leistungen des Unternehmers befreit werden, wenn dieser den Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht informiert hat und der Verbraucher nach Erfüllung dieses Vertrags sein Widerrufsrecht ausgeübt hat.